#Writing Friday – Alternative Wahrheiten

 

Fake News und alternative Wahrheiten sind in unserer postfaktischen Zeit groß in Mode. Passend dazu kommt auch die heutige Schreibaufgabe zum #Writing Friday daher: Schreibe einen Aufsatz über die Erfindung des Telefons. Lüg dabei und lass deine Fantasie spielen.


Alternative Wahrheiten

Langsam drang die Kälte der metallenen Spindtür durch ihre Haut, besänftigte das dumpfe Pochen, das sich seit dem Aufwachen hinter ihren Schläfen eingenistet hatte. Zuerst unauffällig wie ein blinder Passagier, dessen Anwesenheit man nur erahnte, brüllte es mit jedem Schritt auf dem neongrellen Linoleumboden lauter auf.
„Guten Morgen, Ems“, flötete Stephen vergnügt, ließ seinen Rucksack auf den Boden plumpsen und rumpelte in seinem Schließfach herum.
Emily brummte etwas, das man mit gutem Willen als Begrüßung interpretieren konnte, als sie sich nur widerwillig vom kühlen Metall löste. „Wie kann man nur so gut gelaunt sein an einem Montagmorgen.“
„Und wie“, hallte Stephens Stimme blechern aus dem inneren des Spinds, „kann man nur so ein Morgenmuffel sein.“ Seine sommersprossigen Pauspacken schimmerten rot, als er sich mit zufriedenem Grinsen eine Kupferlocke aus der Stirn pustete. „Mensch, Ems, du siehst echt …“, hinter seinen grünen Augen ratterte es, als er nach einer möglichst schmeichelhaften Formulierung suchte, „müde aus.“
„Danke, Herr Blühendes-Leben-egal-zu-welcher-Tageszeit.“ Emily riss die Tür auf, sah die dunklen Schatten unter ihren Augen in der Lackierung gespiegelt. Bloß nicht zu genau hinsehen, dachte sie, sonst erschreckt sich die Zombiekönigin noch vor ihrem eigenen Anblick.
„Hast dir wohl für Mr. Smiths Präsentation die Nacht um die Ohren gehauen, was?“
Emily erstarrte. „Präsentation?“
„Ja-ha.“ Stephen kratzte sich am Kinn. „Du weißt doch: Die Vorstellungen der bisherigen Ergebnisse unserer Hausarbeiten.“
„Das ist heute?“ Stöhnend knallte sie den Spind zu und schlängelte sich an Stephens Seite durch den Korridor. „Ja, Ems. Heute. Vielleicht hast du ja Glück und er lost dich nicht aus“, setzte er gewohnt optimistisch nach. „Ich hoffe, du hast wenigstens einen guten Grund für deine Übermüdung.“
„Wenn du jetzt auf amouröse Abenteuer hoffst …“, fing sie an, doch Stephen fuhr ihr lachend ins Wort: „Das ist wohl auf ewig der allerletzte Grund, warum einer von uns beiden mal keinen Schlaf bekommt.“ Er sagte es mit all der Selbstironie und dem größten Augenzwinkern, die ein Mensch aufbringen konnte – und genau dafür liebte Emily ihren besten Freund. Er hatte die Gabe, alles positiv zu sehen. Als sie den Klassenraum betraten und Mr. Smith Emily mit einem gehässigen Lächeln bedachte, gesellte sich Übelkeit zu ihren Kopfschmerzen. Vielleicht hätte sie doch nicht die ganze Nacht lesen sollen …

Es blieb noch eine Viertelstunde Unterrichtszeit, als Mr. Smith erklärte: „Einen Vortrag können wir uns heute noch gönnen. Freiwillige vor.“
Emily warf einen flehentlichen Blick zu Stephen. So gut, wie er sicher vorbereitet war, könnte er sich einfach melden und …
„Emily. Welches Thema hattest du nochmal gezogen.“
„Die Erfindung des Telefons, Sir.“
Mit einem einladenden Lächeln deutete er auf die Tafel. „Wir sind gespannt, was du uns zu erzählen hast.“
Ver. Dammt.
Wankend erhob sie sich, wischte die schweißfeuchten Finger an der Hose ab. Sie schwitzte so stark, dass es wie ein Wunder schien, dass sich noch keine Pfützen zu ihren Füßen bildeten. Sie putzte die Tafel, um etwas Zeit zu schinden. Vielleicht hätte sie doch schon etwas mehr Arbeit in das Projekt stecken sollen, als bloß die Überschrift auf Papier zu bannen. Lesen bildet, heißt es doch immer. Und wenn ich eines tue, dann Lesen.
„Also … genau. Mein Thema ist die Erfindung des Telefons.“ Stephen lächelte ihr zu. Aufmuntern zwar, doch Emily kannt ihn lang genug, um zu wissen, dass er seine eigene Erleichterung kaum verbergen konnte. Vor Leuten zu sprechen lag ihm nicht – noch weniger als Emily. Mr. Smith sah sie erwartungsvoll an. Und was er erwartet, was offensichtlich: Den schlechtesten Vortrag, den er in seiner ganzen Lehrerlaufbahn gehört hatte, aber den Gefallen würde sie ihm nicht tun.
„Das Telefon“, hob sie an und straffte die Schultern, „wurde, wie sicher viele von euch wissen, im 19. Jahrhundert von Alexander Graham Bell erfunden.“ Emilys Blick huschte zur Uhr.

Noch zehn Minuten zu überstehen.

„Das lässt sich leicht merken, wegen Bell, Glocke und dem Telefonklingeln. Was viele aber nicht wissen …“
Sie leckte sich über die Lippen. Verdammt, warum fiel ihr ein, wie die Katze von Hermine Granger hieß, das Schiff von Kapitän Ahab, aber nicht … oder doch?! „Was viele von euch nicht wissen“, erklärte sie und setzte sich auf die Ecke des Pultes, „ist, dass Bell nicht allein arbeitete. In seinem Tüftlerlabor erhielt er Unterstützung von den klügsten Köpfen seiner Zeit. Allesamt …“, ihr Blick glitt zu Mr. Smith, „sehr fähige Zauberer. Damals stand die Welt vor einem großen Kommunikationsproblem. Die Hauselfen in den Haushalten der Zauberer befanden sich in Generalstreik. Davon waren vor allem die Eulereien betroffen, die das Kommunikationsnetz der magischen Welt bedeuteten. Die Zauberer hatten es satt, sich selbst um die gefiederten Boten zu kümmern. Ihr versteht schon, die Exkremente und so … So erfanden sie das Telefon, um direkt miteinander sprechen zu können.“

Nur noch drei Minuten.

„Von ihrer Erfindung sollten auch die Muggel – also wir – profitieren, und so kam es, dass Bell, seines Zeichens ebenfalls Spross einer wichtigen Zaubererfamilie, sein Patent anmeldete und … den Rest kennt ihr ja. Vielleicht konntet ihr durch meinen Vortrag etwas Wichtiges mitnehmen: Glaubt nicht alles, was irgendwo geschrieben steht – und schon gar nicht alles, was euch jemand erzählt. Meistens schadet es nicht, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Der erlösende Pausengong. Emily sah das Grinsen auf den Gesichtern ihrer Mitschüler, die kichernd die Köpfe zusammensteckten. Stephens entgeisterten Blick – und Mr. Smith, der schmunzelnd zu ihr ans Pult trat. „Ein leidenschaftlicher Vortrag, Emily, den du nochmal überarbeiten solltest, bevor du mir deine Arbeit einreichst.“
„Das werde ich“, murmelte sie, schnappte ihre Tasche und stürmte aus dem Raum.
„Ach, Emily“, hielt Mr. Smith sie zurück. „An deiner Stelle würde ich mich für den Literaturkurs anmelden. In dir steckt Potenzial.“


Der #Writing Friday ist eine Aktion von  Elizzy von read books and fall in love. Jeden Freitag veröffentlichen einige Blogger*innen, die das Schreiben genau so lieben wie das Lesen,  einen kurzen Text. Egal ob Geschichte oder Gedicht, erfunden oder mit persönlichem Bezug – Hauptsache kreativ. 

Wenn ihr selbst noch nach Themen sucht, über die ihr schreiben könnt, oder einfach ein bisschen schmökern wollt, dann schaut doch mal bei Elizzy vorbei. Dort findet ihr eine Übersicht aller Teilnehmer, über die Regeln des #Writing Friday sowie die aktuellen Schreibthemen.  Die anderen würden sich sicher freuen, wenn ihr ihren lesenswerten Blogs einen Besuch abstattet. :)

Meinen letzten Beitrag zum #Writing Friday – ein kleines Buchrätsel –   findet ihr * hier *.

6 Gedanken zu “#Writing Friday – Alternative Wahrheiten

  1. Was für eine kreative Art und Weise, diese Aufgabe zu bearbeiten! <3 Ich mag ja deinen Schreibstil eh so gerne, und kann mir auch gut und gerne vorstellen, dass der Text ein Teil einer größeren Geschichte ist – wer weiß das schon..? ;) Die Figuren habe ich auf jeden Fall schon ins Herz geschlossen, und was die Erfindung des Telefons angeht: gut möglich, dass das auf dem Mist der Zauberer gewachsen ist, bevor es uns Muggel erreicht hat. :'D

    Hab ein schönes Wochenende!
    Ida <3

  2. Liebe Anna!
    Was für ein saucooler Text! Man merkt richtig, wie begeistert Emily ist. Ich musste richtig grinsen bei den Sätzen, in denen du schreibst, wie sie durch die Menge guckt oder sich über die Lippen leckt. Man kann sich die Geschichte richtig schön bildlich vorstellen.
    Liebe Grüße
    Janika

  3. Das ist ja mal eine coole Idee. Nicht selbst lügen sondern deine Protagonistin lügen lassen. Sehr einfallsreich und eine witzige Wendung der „Lüge“ sehr gut gelöst. Echt witzig und ein toller Lehrer.

  4. Hey Anna,
    diese Aufgabe hast du genial gelöst! Die Geschichte liest sich locker und flockig. Ich fand die Sache mit dem Telefon am schwersten zu bewältigen. Wenn ich mir aber deine und andere Beiträge zu dieser Aufgabe durchlese, bin ich erstaunt, was man dazu hat alles schreiben können! Das Thema Telefon hat meine Kreativität eher blockiert, deine wiederum erst recht entfacht! :-)

    HIER geht´s zu meinem Kühlschrank-Bericht aus der heutigen aktuellen Aktion.
    Wünsch dir ein schönes Wochenende und schicke dir liebe Grüße,
    das monerl

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